Wer auf der Insel Rügen von Bäderarchitektur spricht, meint nicht etwa die Gestaltung von Badezimmern, sondern jenen meist in Weiß gehaltenen Baustil-Mix, der die Ostseebäder prägt. Die Bäderarchitektur ist noch nicht alt, denn erst vor etwa 200 Jahren begann das Badeleben auf der Insel. Die Insulaner lebten damals vom Fischfang, von der Kreidegewinnung, von Ackerbau und Viehzucht, bald kam ein neuer Erwerbszweig hinzu: der Fremdenverkehr. Und der entwickelte sich recht langsam, denn die „Sommerfrische“ am Meer war eher den gut betuchten Gästen aus den Städten vorbehalten. Prägten anfangs noch fürstliche Bauten des Klassizismus den Stil wie das fürstliche Badehaus Goor, gebaut 1817/18 in Lauterbach bei Putbus, machte sich später mehr und mehr ein Mix unterschiedlichster Handschriften der Architekten breit. In Sellin soll der Berliner Schriftsteller Arnold Wellmer, ein gebürtiger Vorpommer, 1866 der erste „Badeherr“ gewesen sein, wie der Ortschronist Gerhard Parchow herausfand. „Ja, ich war in Sellin der Badegast – der einzige Hochdeutsche, und das war ja gerade das Allerschönste an meinem wald- und meerumrauschten Neste“, schrieb Arnold Wellmer in seinem Reisebericht in der damals gern gelesenen Familienzeitschrift „DAHEIM“. Einstige Fischer- und Bauerndörfer an der Ostseeküste wurden zu aufstrebenden Badeorten. Die Häuser bekamen Loggien und Veranden, auf denen die Erholungssuchenden Schutz und Ruhe und zusätzlichen Platz fanden. Später wurden weiße Villen, Pensionen und Hotels gebaut. Skulpturen auf den Dächern, verspielte Muster auf den hölzernen Verkleidungen der Balkone, weiße Vorbauten und lichtdurchflutete Erker, all das verstehen wir unter der Bäderarchitektur, die das Markenzeichen der Badeorte Binz, Sellin, Baabe und Göhren an der Rügener Küste ist und auch von der Hafenstadt Sassnitz aus wie die Kreidefelsen weit über die Ostsee leuchtet.
Sehenswerte Zeugnisse der Bäderarchitektur sind in der Altstadt von Sassnitz zu finden oder im Ostseebad Binz. Hier finden wir unter anderem das Kurhaus mit dem Kurplatz, mit den Wandelgängen und dem Musikpavillon und prächtige Villen in der ersten Reihe und in der Putbuser Straße, in der „Wiege“ des Ostseebades Binz. Zu den besonderen Vertretern der Bäderarchitektur zählen die drei so genannten Wolgasthäuser, von denen zwei in Binz stehen und eines in Göhren zu entdecken ist. Villa Undine, Haus Liliput und Villa Erika wurden Ende des 19. Jahrhunderts errichtet und sind Fertighäuser in Holzbauweise, werksmäßig aus hochwertigen Tropenhölzern vorgefertigt in einer Wolgaster Werft. Sie stehen heute unter Denkmalschutz. Der Schiffbaumeister Heinrich Kraeft aus Wolgast hatte am Ende des 19. Jahrhunderts die Idee, Fertigteilhäuser zu bauen, die sogar per Katalog bestellt werden konnten. Das Ostseebad Sellin hat seine Bäderarchitektur gleich nach 1990 unter Denkmalschutz gestellt. Hier wurden besonders viele der historischen Villen restauriert und zu Feriendomizilen umgebaut. Prunkstück aber ist in Sellin die Seebrücke. Die erste Selliner Landungsbrücke wurde 1906 eingeweiht. Sie war rund 500 Meter lang, doch sie hielt Sturm und Eisgang nicht lange stand. Nach dem Eiswinter 1941/42 blieb nur noch das Brückenhaus stehen. Es wurde ab 1956 zu einer beliebten Tanzgaststätte und etwas mehr als 20 Jahre später wegen Baufälligkeit abgerissen. Seit 1998 strahlt die neue Seebrücke nun wie- der in ihrer historischen Gestalt von 1927. Über die „Himmelsleiter“, eine mächtige Holztreppe, eine Schräge oder mit dem Fahrstuhl kann die knapp 400 Meter lange Holzkonstruktion mit Palmengarten und Kaiserpavillon erreicht werden.